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Vertretung mit Nebenwirkungen: Warum der Notdienst teuer werden kann

Der ärztliche Notdienst ist unerlässlich, um schnelle Hilfe in dringenden medizinischen Situationen sicherzustellen. Die damit verbundenen Herausforderungen für den verpflichteten Vertragsarzt machen den Notfalldienst meist zu einem unbeliebten Teil des Berufsalltags. Wer Notdienst leistet, arbeitet oft nachts, an Wochenenden oder Feiertagen. Viele Ärztinnen und Ärzte wollen sich deshalb nach Jahren der Praxistätigkeit und der Übernahmezahlreicher Notdienste hieraus zurückziehen.

Eine gängige Möglichkeit ist hierfür der Rückgriff auf jüngere Kollegen, die sich über den Nebenverdienst freuen. Vielfach wird auch von der Option Gebrauch gemacht, den Dienst an einen beliebigen Kollegen der „Vertretungsliste“ der Kassenärztlichen Vereinigung weiterzugeben. Aber wer haftet, wenn im Notdienst etwas schiefgeht? Viele Ärzte gehen davon aus, dass sie mit der Übergabe der Verantwortung an einen Kollegen aus der Haftung als diensthabender Arzt entlassen sind. Tatsächlich kann jedoch nach der Rechtsprechung des BGH (VI ZR 39/08) auch eine Haftung der vertretenen Praxis für die fehlerhafte Behandlung des Notdienstvertreters in Betracht kommen.

Fallbeispiel


Die Patientin litt seit einigen Tagen unter Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und zeitweisem Fieber. Als sie sich damit bei ihrem Hausarzt vorstellte, ging dieser von einem Magen-Darm-Infekt aus. Er verschrieb Pantoprazol und bat die Patientin um zeitige Wiedervorstellung. Als sich nach kurzfristiger Besserung am Folgetag der Zustand der Patientin wieder deutlich verschlechterte, konsultierte sie am fünften Krankheitstag mit starken Schmerzen, kaltschweißig und fiebrig die allgemeinärztliche Notdienstpraxis eines Krankenhauses. An diesem Tag war die Versicherungsnehmerin dort für den kassenärztlichen Notdienst eingeteilt, wurde aber hierbei von einem ihr nicht bekannten Arzt vertreten. Dieser stellte ohne weitergehende Untersuchungen die Diagnose einer Magenschleimhautentzündung und verordnete Paracetamol und Pantoprazol.

Einen Tag später verständigte die Patientin, aufgrund anhaltender heftigster Schmerzen, den Notarzt. Im Krankenhaus wurde dann, nach 
festgestellter freier Flüssigkeit im Abdomen, die Indikation zur unverzüglichen Operation gestellt. Laparoskopisch wurde ein Blinddarmdurchbruch mit Vier-Quadranten-Peritonitis diagnostiziert. Es folgte eine Notoperation in Form einer offenen Appendektomie. Ein einwöchiges Koma verursachte bei der Patientin bleibende Atemschwierigkeiten. Erst drei Wochen später konnte sie aus der stationären Behandlung entlassen werden. Aufgrund kognitiver Einschränkungen brach die Patientin ihren angefangenen Schulabschluss ab.

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Die Patientin wirft dem Arzt im Notdienst vor, aufgrund unzureichender Anamnese und nicht erhobener weiterer Befunde die Anzeichen der Blinddarmentzündung verkannt zu haben. Die diensthabende Praxis hafte für den Fehler des vertretenden Arztes wie für eigene Tätigkeiten. Die Praxisinhaberin hingegen ist von der Anspruchsanmeldung gegenüber der Praxis zutiefst überrascht, da sie die Patientin nie gesehen habe und auch den Notdienstvertreter nicht kenne. Zudem habe sie das gesamte Honorar an den Vertreter weitergeleitet.

Rechtliche Würdigung


Ob der diensthabende Vertragsarzt auch für die Fehler seines Vertreters einzustehen hat, hängt entscheidend davon ab, wie sich das Rechtsverhältnis zwischen dem Praxisinhaber und dem Vertreter ausgestaltet. Hierbei ist grundsätzlich zwischen deliktsrechtlicher und
vertragsrechtlicher Haftung zu unterscheiden.

Deliktsrechtliche Haftung nach § 831 Abs. 1 BGB

Der BGH geht von einer möglichen Haftung des vertretenden Arztes aus, wenn der Vertreter im Notfalldienst als sogenannter Verrichtungsgehilfe der Praxis angesehen werden kann. Nach § 831 Abs. 1 BGB ist derjenige, der einen anderen zu einer Verrichtung bestellt, zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den der andere in Ausführung der Verrichtung einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht tritt dann nicht ein, wenn der Geschäftsführer bei der Auswahl der bestellten Person die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet hat oder wenn der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden wäre.

Der BGH hat in seiner oben genannten Entscheidung explizit festgestellt, dass ein Verrichtungsgehilfe auch jemand sein könne, der aufgrund eigener Sachkunde und Erfahrung handele, jedoch in gewisser Abhängigkeit zu demjenigen stehe, der den Auftrag erteilt habe. Das sei insbesondere dann der Fall, wenn der sogenannte Geschäftsherr dem Gehilfen die Arbeit entziehen beziehungsweise diese beschränken, sowie Zeit und Umfang der Tätigkeit bestimmen könne. Bei einer gewissen organisatorischen Abhängigkeit könne daher auch eine an sich selbstständige und gleichgeordnete Person zum Verrichtungsgehilfen werden.

Für den Vertreter im Notdienst gilt daher Folgendes: Wählt der Praxisinhaber seinen Vertreter im Notfalldienst selbst aus und meldet ihn bei seiner kassenärztlichen Vereinigung, so ist der Vertreter nach der Rechtsprechung des BGH als Verrichtungsgehilfe zu qualifizieren. In diesem Fall haftet der Praxisinhaber für den Fehler seines Vertreters. Er kann dieser Haftung nur dann entgehen, wenn er darlegen und beweisen kann, dass er sich von der fachlichen und persönlichen Eignung des Vertreters für die Ausübung des Notfalldienstes vergewissert hat.

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Wird der Vertreter demgegenüber von der Kassenärztlichen Vereinigung aufgrund einer dort vorhandenen „Vertretungsliste“ benannt und gerade nicht vom Praxisinhaber ausgewählt, kann weder der Praxisinhaber als Geschäftsherr noch der vertretende Arzt als Verrichtungsgehilfe qualifiziert werden. In dieser Konstellation wäre daher eine deliktsrechtliche Haftung im Sinne von § 831 Abs. 1 BGB für die Fehler des Vertreters nicht gegeben. Vor diesem Hintergrund wurde eine deliktsrechtliche Haftung der Praxisinhaberin aus § 831 Abs. 1 zurückgewiesen.

Vertragsrechtliche Haftung nach §§ 630 a ff, 278 BGB

Zu der Frage, ob der Patientenseite vertragsrechtliche Ansprüche gegen die diensthabende Praxis zustehen, hat sich der BGH in der oben genannten Entscheidung nicht geäußert, da lediglich deliktische Ansprüche geltend gemacht wurden. Bei der Beurteilung, wer für den Behandlungsfehler aus vertraglichen Ansprüchen haftet, kommt es darauf an, mit wem der Notfallpatient den Behandlungsvertrag abgeschlossen hat.

Dieser kann mit dem Vertreter oder auch mit dem diensthabenden Arzt zustande kommen, wenn der Vertreter als Erfüllungsgehilfe des Praxisinhabers gehandelt hat. Erfüllungsgehilfe ist, wer mit Willen des Schuldners bei der Erfüllung einer diesem obliegenden Verbindlichkeit als dessen Hilfsperson tätig wird. Nach § 278 BGB hat der Schuldner ein Verschulden der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten bedient, in gleichem Umfang zu vertreten, wie eigenes Verschulden. Für die Position des Erfüllungsgehilfen ist dabei ausreichend, dass er als Hilfsperson des Schuldners mit dessen Wissen und Wollen tätig wird.

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Diese Anforderung ist erfüllt, wenn der Vertreter von der Kassenärztlichen Vereinigung zur Durchführung des Notdienstes eingeteilt wird und der Praxisinhaber Kenntnis davon hat, dass ein ärztlicher Kollege für seine Notdienstverbindlichkeit tätig wird. Benutzt der Vertreter dann die Rezeptvordrucke, Notfallscheine und den Praxisstempel des Praxisinhabers, spricht Überwiegendes dafür, dass der Behandlungsvertrag nicht mit ihm, sondern mit dem eigentlich zum Dienst eingeteilten Arzt zustande kommt. Auch eine Abrechnung der Kassenärztlichen Vereinigung mit dem Praxisinhaber deutet darauf hin, dass dieser Vertragspartner ist.

Daher ist im Fallbeispiel davon auszugehen, dass der Vertreter als Erfüllungsgehilfe der Praxisinhaberin tätig geworden ist. Vertragliche Ansprüche der Patientin nach den §§ 630 a ff, 278 BGB können demnach gegenüber der Vertragsärztin geltend gemacht werden.

Grundsätzliche Empfehlungen zum Umgang mit Patientendaten

  • Ärzte sollten klare Richtlinien und Verfahren für den Umgang mit Patientendaten entwickeln und sicherstellen, dass sie von allen Mitarbeitern in der Praxis befolgt werden. Dies umfasst Richtlinien zur Datenverarbeitung, Zugriffsrechte, Datenfreigabe, den Umgang mit mobilen Geräten und den Einsatz von Cloud-Services. Alle Mitarbeiter sollten über diese Richtlinien informiert werden. Eine regelmäßige Überprüfung und Aktualisierung ist unerlässlich, um den aktuellen Best Practices zu entsprechen.
  • Eine regelmäßige Bewertung der Datenschutzrisiken in der Praxis kann dazu beitragen, potenzielle Schwachstellen zu identifizieren und Maßnahmen zur Risikominimierung zu ergreifen. Hierbei sollten alle Bereiche der Praxis, wie die elektronische Datenspeicherung, die Kommunikation, die Datenübertragung und die physische Sicherheit der Räumlichkeiten, berücksichtigt werden. Eine angemessene Risikobewertung kann helfen, Sicherheitslücken zu schließen und den Schutz von Patientendaten zu stärken.
  • Ärzte sollten sicherstellen, dass sie eine wirksame Einwilligung von Patienten einholen, bevor sie deren Daten sammeln, speichern oder teilen. Regelmäßige Kommunikation mit den Patienten über den Umgang mit ihren Daten und die Offenlegung von Datenschutzpraktiken kann das Vertrauen stärken und die Transparenz verbessern. Weiter sollte sichergestellt werden, dass angemessene Verfahren zur Freigabe von Patientendaten mit anderen medizinischen Fachkräften, Laboren oder Einrichtungen bestehen, um einen sicheren und geschützten Informationsaustausch zu gewährleisten.

Fazit

Die Vertretung im Notfalldienst birgt haftungsrechtliche Tücken. Der diensthabende Vertragsarzt sollte daher die Ausgestaltung seiner eigenen Vertretung im organisierten Notfalldienst kritisch überprüfen, um Haftungsrisiken zu minimieren. Wird die Vertretung in Eigeninitiative organisiert, ist es ratsam, sich vorab von den Fähigkeiten des Vertreters durch den Nachweis entsprechender Unterlagen zu überzeugen. Empfehlenswert ist hier ein persönliches Gespräch mit dem Vertreter, damit dem Praxisinhaber der Entlastungsbeweis hinsichtlich der persönlichen und fachlichen Voraussetzungen gelingen kann. Zu guter Letzt sollte auch sichergestellt sein, dass der Vertreter über eine ausreichende Haftpflichtversicherung verfügt, damit eventuelle Rückgriffsansprüche durchsetzbar sind.

Wer als Vertragsarzt die Haftungsrisiken im Notdienst möglichst geringhalten will, sollte von der Vertretungsoption eingeschränkt Gebrauch machen.

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Vertretung mit Nebenwirkungen
Autorin: Daniela Lubberich, Syndikusrechtsanwältin HDI

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